Hallo Düwag-Kutsche,
es befremdet mich immer wieder, wie gerade aus den Reihen der Eisenbahn"freunde" Verständnis, ja geradezu Zustimmung für allerlei Einspar- und Kürzungsbestrebungen gezeigt wird, während wo man auch hinschaut, heute knallharte Lobbyarbeit betrieben wird, frei nach dem Motto: "Wir wissen zwar, daß unsere Forderungen unrealistisch sin, doch nur so haben wir die Chance, am Ende zu bekommen, was uns zusteht".
Du scheinst tatsächlich an das Märchen zu glauben, daß man durch Verzicht auf schwächere Teile, den Rest des Systems auf Dauer sichern kann. Solange ich denken kann, wurde bei der Eisenbahn in Deutschland nach dieser Devise gehandelt, der Erfolg ist ausgeblieben...
Die bereits aus Bundesbahnzeiten bekannte "Salamitaktik" hat Schritt für Schritt schon viel zu viele Strecken dahingerafft, die volkswirtschaftlich durchaus von Wert waren. Letztlich führt eine Amputation schwacher Teile immer auch zu einer Schwächung des Gesamtsystems, womit eine sich immer schneller drehende Abwärtsspirale in Gang gekommen ist, an deren Ende nur die völlige Bedeutungslosigkeit der Eisenbahn stehen kann. Im Güterverkehr ist es schon fast soweit. Nachdem man vor einigen Jahren den Stückgutverkehr samt zugehöriger Infrastruktur "vernichtet" hat - ein Fehler, den man wohl nie wieder rückgängig machen kann - ist die Eisenbahn für "Otto Normalverbraucher" im Güterverkehr quasi nicht mehr existent. Inzwischen wird schon laut darüber nachgedacht, auch den Einzelwagenverkehr einzustellen. In zehn Jahren werden dann womöglich auch die heute noch als profitabel angesehenen Ganzzüge dran glauben müssen, zumindest wenn man weiterhin alles immer nur mit den Augen frisch gehirngewaschener BWL-Jünger betrachtet.
Auch das derzeit populäre Thema "Lohnverzicht zur Beschäftigungssicherung" führt in die gleiche Sackgasse. "Gesundschrumpfen" funktioniert in den seltensten Fällen dauerhaft.
Nun aber wieder zurück zum eigentlichen Thema. Für Braunschweig - Wolfsburg und Goslar - Kreiensen halte ich eine Fahrplanausdünnung für hochgefährlich. Bei einem Zweistundentakt werden viele Fahrgäste der Bahn den Rücken kehren. In fünf bis zehn Jahren kommen dann garantiert wieder schlaue Politiker und BWLer, denen auch die verbliebenen Züge zu unwirtschaftlich sind, vor allem im Fall Goslar - Kreiensen. Zwischen Braunschweig und Wolfsburg sehe ich durchaus Potential für eine schnelle Bahnverbindung, und das ist die Weddeler Scleife in der Tat, allerdings muß es auch ein attraktives Fahrplanangebot geben, damit dieser Zeitvorteil für die Fahrgäste nutzbar wird. Was nützt mir eine Fahrzeit von nur 24 Minuten, wenn ich über eine Stunde auf den Zug warten muß? Die von Dir für Braunschweig - Hildesheim vorgeschlagene Freigabe der ICE für Nahverkehrsfahrscheine, würde ich für Braunschweig - Wolfsburg als Möglichkeit sehen, zu relativ geringen Mehrkosten eine deutliche Attraktivitätssteigerung zu erreichen. Weiterhin scheint mir, daß es beim "gemeinen Volk" noch gar nicht so recht bekannt ist, daß durch die Weddeler Schleife bereits seit einigen Jahren deutlich kürzere Fahrzeiten zwischen den beiden Nachbarstädten möglich sind. Auch die Existenz des VRB mit auf dieser Strecke recht moderaten Fahrpreisen und der Möglichkeit, auf Bus und Straßenbahn umzusteigen, ist bei weitem nicht jedem Fahrgast bekannt. Erst letzte Woche zeigte sich eine Dame aus Wolfsburg sehr überrascht darüber, daß sie mit ihrer "Zugfahrkarte" in Braunschweig auch die Straßenbahn benutzen darf, Originalton: "Die habe ich bisher immer weggeschmissen".
Ein wenig Öffentlichkeitsarbeit wäre hier sicher nicht verkehrt.
Schöppenstedt - Helmstedt ist da wieder eine ganz andere Sache, die noch dazu durch die "BKB-Problematik" verschärft wird. Erweiterungen von Tagebauen oder auch ganz normalen Industriebetrieben waren schon oft eine willkommene Möglichkeit, sich manch ungeliebter Strecke zu entledigen.
Braunschweig - Hildesheim ist m. E. ein absoluter Sonderfall, da zwischen den beiden Großstädten kaum ein wirkliches Verkehrsbedürfnis besteht. Hildesheim scheint mir fast ausschließlich nach Hannover orientiert zu sein, wo ja auch ein deutlich besseres Verkehrsangebot besteht. Nach Braunschweig ist nicht nur die Schiene schwach, auch die Straßenverbindung ist alles andere als attraktiv, doch scheint dies niemanden ernsthaft zu stören. Von daher wäre mit der vorgeschlagenen Freigabe der ICE-Züge kaum jemandem gedient, zumal die "Zwischenhalte" dann leer ausgingen. Zumindest Lengede-Broistedt und Woltwiesche werden, sicherlich auch dank des VRB, rege genutzt. Würden diese beiden Halte an einer anderen, besser genutzten VRB-Strecke liegen, stünden sie nie und nimmer zur Disposition. Ich bin mir ziemlich sicher, daß die Strecke Braunschweig - Hildesheim heute viel besser dastehen würde, wenn es noch die zahlreichen Haltepunkte gäbe, die dort bereits in der Vergangenheit aufgelassen wurden, womit wir wieder bei meiner Kritik von weiter oben wären.
Deshalb fordere ich, auf dieser Strecke die Reaktivierung/Neuerrichtung von zusätzlichen Haltepunkten. In diesem Zusammenhang sollte, wie auch auf der Weddeler Schleife, endlich der schon lange geplante zweigleisige Ausbau erfolgen, was auch der Pünktlichkeit der ICE-Züge zugute kommen und zusätzliche Kapazitäten für den Güterverkehr schaffen würde.
Vermutlich wird der Einwand kommen, die Regionalisierungsmittelkürzungen seien nun einmal Realität, mit der man sich abfinden muß.
Auch ich fürchte, wir werden in Zukunft mit Einschnitten leben müssen. Es gibt leider in vielen Bereichen Leute, die der Eisenbahn/dem ÖPNV aus verschiedensten Interessenlagen heraus nicht gerade wohlgesonnen sind. Denen sollten wir nicht auch noch in die Hände spielen und es ihnen allzu leicht machen.
Man versucht immer, dort zu sparen, wo man den geringsten Widerstand zu erwarten hat, schon deshalb, weil man ja wiedergewählt werden möchte. Wenn selbst wir "Fans" schon konkrete Abbauvorschläge machen, ist es für manchen Entscheidungsträger sicher eine Motivation, auch beim nächsten finanziellen Engpaß wieder in die Eisenbahn/ÖPNV-Kasse zu greifen.
Wer als Politiker heute z. B. die PKW-Maut einführen würde, der wäre politisch "tot".
Persönlich denke ich, daß, solange man Geld z. B. für Betonschlösser, sinnloses Ausspionieren der Bevölkerung im Zuge der Terror-Hysterie, militärische Auslandseinsätze und für solche Banalitäten wie den Umbau von ausreichend langen, zu niedrigen Bahnsteigen in zu kurze, zu hohe Bahnsteige ausgeben kann, sicherlich noch der eine oder andere Euro für ein attraktives Fahrtenangebot im Nahverkehr zu erübrigen ist.
Gruß
Ulrich