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"Ist noch jemand ohne Fahrschein?" – Eine 80 Jahre alte Straßenbahn wird restauriert
Der Triebwagen 82 wird von der Interessengemeinschaft Nahverkehr gerettet – Kosten werden auf 60 000 Euro geschätzt
Von Ernst-Johann Zauner
Gut 80 Jahre hat die "alte Dame" auf dem Buckel. Die Zeit hat ihr böse zugesetzt. Rost und morsches Holz fordern eine grundlegende Restaurierung des Straßenbah-Triebwagens (Tw) 82.
Mitglieder der Braunschweiger Interessengemeinschaft Nahverkehr wollen diese Zeugin der Braunschweiger Verkehrsgeschichte für die Nachwelt erhalten. Gerettet haben sie die historische Straßenbahn schon 1998 vor dem Weg zum Schrottplatz.
Am 29. September 1983 hatte die Verkehrs-AG die ausgemusterte Bahn an das "Deutsche Straßenbahnmuseum" in Wehmingen bei Hannover weitergegeben. Ohne Pflege rottete sie im Freien 15 Jahre vor sich hin. Die Vereinsmitglieder holten sie nach Braunschweig zurück und dokumentierten die Geschichte des Triebwagens.
Im Jahr 1927 wurde das Fahrzeug als eines einer speziell für Braunschweig gefertigte Serie ausgeliefert. Es waren die ersten Braunschweiger Straßenbahnen, die rundum geschlossen und mit Türen ausgerüstet waren.
Bis nach dem Krieg waren sie im Braunschweiger Stadtbild präsent. Den Krieg hindurch war sei im Braunschweiger Netz hindurch beinahe im Auslieferungszustand unterwegs.
Im April 1953 wurde die Bahn restauriert. Sie bekam u.a. eine neue Holzstruktur, gepolsterte Ledersitze und eine modernisierte Technik. So war sie bis 1965 im Linienverkehr zu sehen, bevor sie als Rangier- und Arbeits-Triebwagen über die Schienen rollte. Die letzten Jahre bei der Verkehrs-AG zog sie dann nur noch Salzstreuwagen.
Nun steht die Bahn wieder im Depot der Verkehrs-AG und wartet auf die Restaurierung. Rund 60 000 Euro wird das kosten. Ein Teil des Geldes und Sach- sowie Dienstleistungen seien bereits eingeworben worden, sagt Jens Winnig von der Interessengemeinschaft.
Für den Verein mit rund 70 Mitgliedern ist der Brocken schwer zu stemmen. So sind sie auf der Suche nach begeisterten Straßenbahnfans, die für die Rettung des TW 82 einen Beitrag leisten.
Die Braunschweiger Verkehrs-AG (BSVAG) beteilige sich an der Restaurierung des seltenen Stücks, die einzig erhaltene Bahn dieser Bauart, da sich alte Straßenbahnen besonderer Beliebtheit erfreuten, sagt BSVAG-Aufsichtsratsvorsitzender Carsten Müller. Unter den Vereinsmitgliedern seien viele BSVAG-Mitarbeiter, die das historische Gewissen des Unternehmens seien.
Den werbeträchtigen Spaß an alten Straßenbahnen fördert die BSVAG u.a. mit einem Exemplar aus dem Jahr 1897. Damals war es die erste per Strom betriebene Straßenbahn in Braunschweig. Parallel dazu fuhren aber die Pferdebahnen noch sieben Jahre. Also erst 1904 war alles elektrifiziert. Die Braunschweiger nannte die Straßenbahn "Elektrische" oder in der Umgangssprache "Lektrische", so "Klinterklater" Eckhard Schimpf.
Die Nummerierung der Strecken blieb – von einigen Änderungen abgesehen – immer gleich. Vor genau 60 Jahren – um nur mal ein Beispiel zu nennen – sah das Streckennetz so aus. Die:
"A" fuhr von Braunschweig nach Wolfenbüttel;
1 – Richmond-Siegfriedstraße;
3 – Frankfurter Straße-Gliesmarode;
4 – Madamenweg-Marienstift;
5 – Augusttor-Ölper;
6 – Hauptbahnhof (damals noch am Friedrich-Wilhelm-Platz)-Stadtpark;
8 – Bahnhof-Riddagshausen.
"Für zehn Pfennig konnten wir damals (so etwa 1948/49) von Endstation zu Endstation fahren", erzählt Schimpf. Und: "Man sagte zur Schaffnerin: Einmal geradeaus, gab zehn Pfennig hin, die dann in der Metallbox verschwanden."
Mit "geradeaus" blieb man auf der gleichen Linie. Wollte man die Linie wechseln, dann sagte man: "Einmal umsteigen" – das kostete dann 15 Pfennig. "Ich weiß allerdings nicht mehr, ob diese Preise nur für uns Kinder galten oder auch für Erwachsene."
Auf den Linien 4, 5 und 6 wurden bis Mitte der 50er Jahre noch offene Anhänger eingesetzt. Das heißt: Sie hatten eine verglaste Innenkabine, aber vorn und hinten eine völlig offene Plattform. "Da drängten sich immer die Schulkinder, hängten ihre Köpfe in den Wind und riefen – manchmal – den Passanten freche Sachen zu."
Mittwoch, 27.12.2006