Hallo zusammen,
die Äußerungen zum Thema "selbst schuld, wer auf dem Dorf wohnt", halte ich doch für ein wenig befremdlich, auch wenn sie wohl nicht ganz ernst gemeint sind.
Gerade einige von Euch tun sich doch regelmäßig damit hervor, den motorisierten Individualverkehr grundsätzlich schlechtzureden und an Autos und ihren Nutzern kein gutes Haar zu lassen. Andererseits sind wohl einige der Meinung, daß ein attraktives ÖPNV-Angebot außerhalb der Stadtgrenzen nicht erforderlich ist. Wie paßt das zusammen?
Im Gegensatz zu manch anderen Ecken unserer Welt, ist es hierzulande nun einmal so, daß ein erheblicher Teil der Bevölkerung nicht in Großstädten wohnt. Dies ist einerseits historisch gewachsen, andererseits wird es durch die in den letzten Jahren immer weiter um sich greifende "Stadtflucht" noch verstärkt.
Wer diese Entwicklung kritisiert, hat sicher nicht ganz unrecht, doch, will man es den Leuten verdenken, daß sie sich nach einem eigenen Haus "im Grünen" sehnen?
Bei den meisten von uns ist das Geld knapp, und da sind die geringeren Grundstückspreise "auf dem Land" oftmals die einzige Möglichkeit, sich den Traum vom eigenen Heim zu erfüllen.
Das im ländlichen Raum, auch in den Braunschweiger Umlandgemeinden, heute übliche Busangebot, ist m. E. meilenweit davon entfernt, eine echte Alternative zum eigenen PKW darzustellen. Die dort wohnenden Menschen, ausgenommen die klassischen ÖPNV-Zwangskunden, sind daher meist völlig "ÖPNV-entwöhnt". Aus eigener ländlicher Kindheitserfahrung weiß ich, wie schön es ist, wenn der letzte Bus aus der Stadt bereits um 19 Uhr fährt. Was war ich froh, endlich dieser Gängelei zu entkommen und mit dem eigenen Auto jederzeit mobil sein zu können - das ist ein echtes Stück Lebensqualität!
Um ÖPNV-Verbesserungen auf dem Lande zu etablieren, sollte man sich dieser Situation bewußt sein. Es braucht m. E. einen deutlich längeren Atem, das Angebot bekannt zu machen und die Leute wieder an den ÖPNV heranzuführen, als dies in der Stadt der Fall ist. Ich denke aber, daß dies durchaus möglich ist.
Vielleicht kann man unter den derzeit gegebenen finanziellen Rahmenbedingungen keine wirklich vollwertige Alternative zum Auto schaffen, aber vielleicht ist es ja wenigstens möglich, attraktive und schnelle Verbindungen für den täglichen Arbeitsweg der meisten Berufspendler zu schaffen, so daß wenigstens der eine oder andere Zweitwagen entbehrlich wird?
Wer der Meinung ist, den ländlichen Raum vernachlässigen zu können, der darf sich m. E. nicht über die wachsende Blechlawine auf unseren Straßen beschweren. Der Autoverkehr aus dem Umland trägt auch seinen gehörigen Teil zur Verstopfung der Städte bei, denn wer einmal im Auto sitzt, fährt meist gleich bis zum Ziel durch. Die wenigsten Leute steigen am Stadtrand auf Bus und Bahn um.
Vorstellungen, den Leuten vorschreiben zu wollen, wo sie zu wohnen haben, halte ich für völlig daneben. Eine solche Denkweise paßt allerhöchstens in totalitäre Unrechtsstaaten...
Gruß (seit vielen Jahren aus der Stadt...)
Ulrich